Mittwoch, 7. Januar 2015

Im Feld: FotografInnen als Augenzeugen


Die politische Auswirkung des israelisch-palästinensischen Konflikts auf Israel aufzuzeigen ist ein zentrales Anliegen des Fotografenkollektivs Activestills, zu dem auch der Israeli Oren Ziv gehört. In seiner Serie „Al Araqib“ aus dem Jahr 2012 dokumentierte er die Zerstörung des gleichnamigen Beduinendorfes in der Negev durch den israelischen Staat, um Platz für den vom jüdischen Nationalfonds geplanten Ambassador-Forest zu schaffen. An dieser Arbeit zeigt sich, dass die fotografische Produktion in der Region viel mehr zu bieten hat als stereotype Bildklischees. Kaum eine Konfliktregion verfügt über eine so hohe Dichte an FotojournalistInnen und FotografInnen wie Israel/Palästina. Nicht nur alle internationalen Nachrichtenagenturen sind dort präsent, auch viele freischaffende FotografInnen arbeiten in der Region. Im Feld treffen dabei sowohl internationale als auch lokale israelische und palästinensische FotografInnen aufeinander. Das Spektrum der fotografischen Ansätze reicht von der Nachrichten- über die Dokumentarfotografie bis hin zum Fotoaktivismus.

Die Nachrichtenfotografie wie im Fall von AP ist dabei eher an tagesaktuellen Ereignissen interessiert und auf Einzelbilder ausgerichtet, während die Dokumentarfotografie an Themen orientiert ist und stärker erzählerisch in Form von Serien arbeitet. Der Fotoaktivismus dagegen ist in beiden Feldern zu Hause und vor allem durch die dezidiert politische Haltung der FotografInnen geprägt. Ebenso wie die fotografischen Ansätze unterscheiden sich auch die Themen der FotojournalistInnen. Zentrale Qualitätsmerkmale sind die Augenzeugenschaft der FotografInnen und die damit verbundene Authentizität der Fotografien. FotografIn und Subjekt begegnen sich im fotografischen Akt, der vor allem vom Zeitraum der Begegnung und der Art des Ereignisses abhängig ist und in dem Macht- und Herrschaftsverhältnisse jedes Mal neu verhandelt werden.
FotografInnen, die bei internationalen Nachrichtenagenturen wie Reuters oder AP angestellt sind, haben kaum Möglichkeiten, eigene Akzente zu setzen, und folgen der Nachrichtenfaktorenroutine. Diese bestimmt, wie Ereignissen über bestimmte Faktoren wie Neuigkeit, Nähe oder Dramatik ein Wert zugeschrieben und damit festgelegt wird, wie berichtenswert einzelne Ereignisse sind. Frei arbeitende FotografInnen hingegen können stärker persönlichen Vorlieben folgen. Doch auch sie stoßen in einem Krisengebiet wie in Israel/Palästina an ihre Grenzen. Denn herrschende politische Systeme und die Konfliktdynamiken haben neben der Position der FotografInnen im Mediensystem einen zentralen Einfluss auf deren Handlungsspielräume. Beispielsweise in punkto Bewegungsfreiheit: Während sich internationale FotoreporterInnen mit Presseausweis mehr oder weniger frei in der Region bewegen können, haben ihre israelischen Kollegen keinen Zugang zum Gazastreifen und nur eingeschränkt in die Westbank. Palästinensern bleibt die journalistische Arbeit in Israel vollständig verwehrt.

Bilder des Scheiterns

Ein deutscher Fotograf, der seit vielen Jahren zum israelisch-palästinensischen Konflikt arbeitet, ist Kai Wiedenhöfer. Er ist in den 1990er Jahren zum ersten Mal in die Region gefahren und dokumentierte in ausdrucksstarken Schwarz-Weiß-Bildern die Situation in den palästinensischen Gebieten und das Scheitern des Osloer Friedensprozesses. Die Bilder wurden unter anderem im Steidl Verlag unter dem Titel „Perfect Peace: The Palestinians from Intifada to Intifada“ publiziert. Gestartet als klassischer Dokumentarfotograf, hat sich die Arbeit von Wiedenhöfer jedoch immer stärker in Richtung eines konzeptionellen Ansatzes entwickelt. Seine Arbeiten haben einen seriellen Charakter und sind nur zu verstehen, wenn man die Bilderfolge betrachtet. Dies ist sehr gut an den beiden Buchprojekten „Wall“ (2008) und „Book of Destruction“ (2010) zu sehen.
Im Jahr 2013 schloss Wiedenhöfer ein mehrjähriges Projekt zum Thema Grenzen ab. In Berlin plakatierte er dazu auf den Mauerresten an der Eastside-Gallery Fotografien der wichtigsten Grenzanlagen des 21. Jahrhunderts, von der US-amerikanischen Grenze zu Mexiko über die Waffenstillstandslinie in Zypern bis hin zur Sperranlage zwischen Israel und der Westbank. Wiedenhöfer steht exemplarisch für den frei schaffenden Dokumentarfotografen. Er wechselt zwischen Auftragsproduktionen und freien Projekten und kommt bis heute ohne eine eigene Webseite und die Vertretung durch eine Fotoagentur aus. In Israel und den palästinensischen Gebieten erlaubt ihm sein deutscher Pass, sich relativ frei zu bewegen.

Klassische Ikonografie

Anders stellt sich dagegen die Situation für den jungen palästinensischen Fotografen Fadi Arouri dar, der Bilder für die tagesaktuelle Nachrichtenfotografie der internationalen Agenturen produziert. Sein Wirkungskreis beschränkt sich gezwungenermaßen auf die Westbank; der Zugang nach Israel und zum Gazastreifen wird ihm von Israel verwehrt. Angefangen hat Arouri als Freelancer für internationale Nachrichtenagenturen. Seit 2010 ist er der Repräsentant der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua in der Westbank. Kaum ein Termin im Politikzirkus in Ramallah, kaum eine Demonstration in der Westbank, wo Arouri nicht präsent ist. Das Geschäft von Nachrichtenfotografen wie Arouri ist das tägliche Kleinklein der Berichterstattung und damit das Bespielen der Archive der Nachrichtenagenturen. Es geht um aussagekräftige Einzelbilder und um Eye-Catcher, die das Zeug haben, auf den Titelseiten internationaler Zeitungen abgebildet zu werden. So finden sich in seinem Archiv viele Bilder des politischen Protests, welche die klassische Ikonografie des Konflikts mit Bildern Steine werfender Demonstranten oder palästinensischer Märtyrer bedienen, wie es auf seiner Facebookseite sichtbar wird. Aber er versucht auch den Bildklischees mit Fotos entgegenzusteuern, die den Alltag in der Westbank zeigen. Arouri gehört zu den ersten Absolventen eines Kurses in Fotojournalismus, der an der palästinensischen Birzeit Universität angeboten und von der Ost-Jerusalemer Fotografin Rula Halawani geleitet wird. Bis in die 1990er Jahre hinein gab es kaum palästinensische Fotografen auf dem Markt, das Geschäft war fest in der Hand internationaler und israelischer FotografInnen.

Politische Fotografie

Zur gleichen Generation wie Arouri gehört der israelische Fotograf und Autodidakt Oren Ziv. Während er sich als Brotjob bei einer israelischen Tageszeitung als Fotograf verdingt, gehört er als Gründungsmitglied des Fotografenkollektivs Activestills zu den politischsten FotografInnen Israels. Activestills stammt aus der anarchistischen Szene in Israel stammt und dokumentiert vor allem politische Proteste im eigenen Land sowie in der Westbank. In akribischer Kleinarbeit haben sie in den vergangenen Jahren ein umfangreiches Archiv des zivilen Ungehorsams und des gewaltfreien Protests kreiert. Durch ihre beharrliche Dokumentation konnten sie Schlaglichter auf Themen wie die Zwangsumsiedlung von Beduinen in der Negevwüste, die Proteste afrikanischer Flüchtlinge oder die Problematik der Hauszerstörungen in Ost-Jerusalem werfen. Die Bilder von Activestills werden in der Regel nicht kommerziell verwertet und stehen zivilgesellschaftlichen Organisationen in Israel und Palästina zur Nutzung zur Verfügung. Teil der politischen Arbeit von Activestills war und ist das Plakatieren von Bilderserien aus der palästinensischen Westbank im Stadtraum von Tel Aviv. Waren die Arbeiten von Ziv und seinen Kollegen aufgrund ihrer kritischen Haltung gegenüber der israelischen Regierungspolitik und dem offenen Widerstand gegen deren Besatzungspolitik für lange Zeit Tabu für den israelischen Mainstreamjournalismus, so bekam Ziv im Jahr 2011 mit einer Auszeichnung beim israelischen Pressefotografiepreis „Local Testimony“ eine offizielle Anerkennung für seine fotografische Arbeit.

Die Arbeit der drei hier vorgestellten Fotografen zeigt, dass der Vielfalt der fotografischen Darstellung des israelisch-palästinensischen Konflikts (fast) keine Grenzen gesetzt sind. Obwohl der Konflikt auf eine gewisse Art und Weise überfotografiert ist, gelingt es FotoreporterInnen immer wieder, ungewöhnliche Formen des visuellen Erzählens zu finden und neue, bisher nicht bearbeitete Themen aufzutun. Dass Bilder wie die von Activestills es meist nicht in die Massenmedien schaffen, liegt vor allem an der Komplexität der von ihnen angesprochenen Themen. Vieles, was sie produzieren, braucht eine ausführliche Kontextualisierung. Diese ist im Tageszeitungsjournalismus in der Regel nicht erwünscht. Dort wird einfachen, binär kodierten visuellen Botschaften immer noch der Vorzug gegeben.

So sagt die Vielfalt der fotografischen Ansätze im Feld erst einmal nichts darüber aus, welche Bilder gedruckt werden und ob und wie mit diesen visuelle Stereotype bedient werden. Was ein aufmerksamer und forschender Blick auf die Produktion ermöglichen kann, ist das Potenzial und die Vielfalt fotografischer Darstellung von Konflikten aufzuzeigen und damit die massenmediale Publikationspraxis zu hinterfragen. Und damit ist schon viel gewonnen, wirkt es doch einer eindimensionalen Konfliktdarstellung entgegen.

Internetlinks:

Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift iz3w, Ausgabe 343, vom Juli/August 2014 erschienen und wird hier mit deren Erlaubnis erneut veröffentlicht.